Happinez: Vom Loslassen und Ankommen

Gibt es einen Ort, an dem sich unsere Seele neu erfindet? An dem unser Blick offener wird? Ykje und Durk lassen ihr Leben in den Niederlanden hinter sich. Sie ziehen mit ihren Söhnen nach Portugal, ins stille Hügelland der Algarve. Der besinnen sie sich wieder auf das Wesentliche: auf sich und den Zauber der Natur.

Es gibt Momente, da macht es einfach „klick“. Dieses hier war so einer: morgens, in den sanftgeschwungenen grünen Hügeln der Serra de Monchique. Eukalyptusbäume duften, wetteifern mit dem wilden Lavendel, mit Zistrosen und Mimosen, mit dem Rosmarin. Die Blätter der Oliven glänzen wie silbernes Engelshaar. An den Bäumen leuchten Orangen. Umgeben von Stille. Friedvoller Stille. Bevor unser Kopf überhaupt denken konnte, hatte unser Herz längst JA gesagt: zu diesem Wunderland, wenige Kilometer nördlich von Lagos und Portimao, ihren Hotels, Bars, Souvenirläden und Asphaltstraßen. Ja, hier wollten wir unseren Traum von einem ganzheitlichen Leben wahr werden lassen: vom Leben in einer Jurte. Sie ist Haus und Zelt zugleich, lässt sich leicht aufbauen und transportieren. Wir wären gut geschützt und doch mitten in der Natur – mit unseren Söhnen Pier, Bjirk und Ave. Wir könnten aber auch jederzeit weiterziehen. Schließlich wussten wir nicht, wie es sich anfühlen würde. Ob wir durchhalten? Etwas zu wollen und es dann tatsächlich zu tun – das sind zwei verschiedene Dinge…

Mehr Zeit, mehr Ruhe

Es ging uns recht gut. Wir beide hatten als Szenograf und Kostümbildnerin Berufe, in denen wir aufblühten, Erfolg und Bestätigung erfuhren. Zwei Häuser, zwei Autos, schicke Urlaubsreisen: Wir hatten alles. Doch je mehr wir hatten, um so mehr merkten wir, dass uns etwas Entscheidendes fehlt. Wir wünschten uns mehr Zeit, mehr Ruhe, mehr Freiheit. Ein Gefühl, das stärker wurde, als die Kinder auf die Welt kamen. Wir mussten uns entscheiden. Beides zusammen ließ sich nicht vereinbaren. Jedenfalls nicht für uns. An jenem Sonnenmorgen im Hinterland der Algarve stand unsere Entscheidung fest. Weil wir dort auf einmal spürten, dass wir uns wieder mehr auf das Wesentliche besinnen müssen: auf uns, auf unsere Kinder. Weniger Besitz. Weniger Stress. Weniger Fremdbestimmtheit. Die einfachen Dinge wiederentdecken, schätzen lernen. Dabei sollte uns die Jurte helfen. Durch die Stoffplanen sehen wir die Sonne schimmern, hören Frösche, Vögel, das Blätterrauschen. Der Holzboden schmeichelt unseren Füßen, wir laufen barfuß. In der Mitte steht ein gusseisener Holzofen, dessen Rohr durch eine kleine Öffnung in den Himmel ragt. Eine antike Spiegel-Kommode, unsere Betten, ein paar Weidenkörbe. Am selbstgezimmerten Tisch kommen wir alle immer wieder zusammen: Essen, Spielen, Reden. Wohnen, reduziert aufs notwendigste. Die Kinder unterrichten wir selbst. Ohne Zwang, ohne Druck. Gekocht und gebacken wird mit dem Solarofen. Einen Fernseher vermissen wir nicht: Wir sind lieber unterwegs.

Jeder Tag ein Abenteuer

Darüber hinaus verführen die Traumstrände zum Baden: Amado, Arrifana und Odeceixe. Weicher, heller Sand. Ein feiner Gischtschleier schwingt im Wind. Allmählich verstehen wir das Strand-ABC, das da lautet: Im Westen warten zerklüftete Klippen, geheimnisvolle Grotten, einsame Felsbuchten und wilde Wellen. Im Osten, hinter Faro, sind die Strände endlos weit mit Dünen, Sandbänken und Lagunen. Über fast allen flattert die beliebteste Fahne der Europäischen Union: die blaue für sauberes Wasser. Unsere drei Jungs erleben jeden Tag als neues Abenteuer. Vor der Jurte hängen ihre selbstgebauten Schaukeln in den Bäumen: ein Seil, ein Ast als Querstange – fertig. Sie helfen beim Feuerholz sammeln. Basteln Armbänder, klettern, errichten ein Baumhaus. Oder spielen mit den Eseln.

Von der Kunst des Zufriedenseins

Uns gefällt dieses unaufgeregte, freundliche, hilfsbereite Miteinander auf dem Land. Hier zählt das Jetzt; dass man sich die Neugier und Freude am Dasein bewahrt. Und an dieser grandiosen Natur! Wer einmal Ria Formosa besucht hat, wird unsere Begeisterung verstehen: 18 000 Hektar Marsch und Watt, weitläufige Lagunen, Schilfgräser und Muschelfelder prägen den Nationalpark. Heimat von 180 verschiedenen Vogelarten, darunter das sehr seltene Purpurhuhn, Wildgänse, Flamingos, Adler und Löffelreiher. Zudem verstecken sich hier idyllische Strände. Moment: Baden im Nationalpark?! Richtig. Hier ist es ausdrücklich erlaubt. Fähren mit bunten Wimpeln schippern von Olhao aus regelmäßig zu den vorgelagerten Inseln – nach Farol und Culatra.
Später sitzen wir vor der Jurte, sehen den funkelnden Sternenhimmel. Grillen zirpen. Drei Jahre sind seit jenem Sonnenmorgen vergangen. Diese verwunschene Algarve, sie hat uns verändert. In den Niederlanden waren wir irgendwie immer unter Strom. Wir wollten dieses und jenes erreichen, haben darauf hingearbeitet, wollten es unbedingt schaffen. Das strengt an. Erst an der Algarve konnten wir loslassen; unser Blick wurde weiter. Offener. Alles, was uns hier begegnet, ist willkommen. Nicht mehr das Ziel zählt, sondern der Weg. Wie lange wir noch bleiben werden? Keine Ahnung. Wir sind ausgeglichen und entspannt geworden. Zufrieden. Weil wir uns einen Ort geschaffen haben, an dem wir gern sind; an dem wir die Natur entdecken. Und uns – ein Wunder namens Leben.

Heute ist nicht mehr das Ziel wichtig, sondern der Weg

Tekst: Marietta Duscher-Miehlich en Sylvia Nause-Meier

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